Wenn das so ist, können wir hier diskutieren wie wir wollen

Hier gibt es alles zum Thema psychische Entleerungsstörung
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Svenja
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Wenn das so ist, können wir hier diskutieren wie wir wollen

Beitrag von Svenja »

Hallo!

Ich habe eben bei Wikipedia den Artikel zur Harnblase gelesen.

Da steht u.a.
Die Harnblase besitzt an ihrem Ausgang zwei Schließmuskeln (Sphinkter), einen inneren und einen äußeren. Der Innere besteht aus glatter Muskulatur und unterliegt der Kontrolle des vegetativen Nervensystems, was bedeutet, dass er nicht willentlich gesteuert werden kann. Der äußere Schließmuskel, der auch Musculus urethralis heißt, ist ein ringförmiger Skelettmuskel, der bewusst gesteuert werden kann.
Also ist doch klar: Steuern lässt sich nur der äußere Schließmuskel. Der innere öffnet sich entweder (bei zu hohem Druck) automatisch oder bleibt zu.

Weiter heißt es da:
Der Urin wird in den Nieren produziert, dort in den Nierenbecken gesammelt und dann durch die Harnleiter in die Harnblase entleert. Deren Wand wird durch die zunehmende Füllung gedehnt, was durch Dehnungssensoren wahrgenommen wird. Dies löst in parasympathischen Zentren des sakralen Rückenmarks einen Reflex, den sogenannten Miktionsreflex, aus, der die Kontraktion des Musculus detrusor in der Blasenwand und eine Entspannung des inneren Schließmuskels auslöst. Die hierzu gehörenden Reflexbahnen verlaufen im Nervus pelvinus. Erst wenn dann die bewusste Entspannung des äußeren Schließmuskels erfolgt, beginnt das Harnlassen. Diese bewusste Kontrolle des äußeren Schließmuskels kann jedoch bei sehr starker Füllung der Blase durch vom Nervus pudendus stammende hemmende Impulse außer Kraft gesetzt werden.
Im Umkehrschluss: Der äußere Schließmuskel kann durch bewusste Kontrolle geöffnet werden. Das Harnlassen beginnt aber erst, wenn "in parasympathischen Zentren des sakralen Rückenmarks ein Reflex, der sogenannte Miktionsreflex ausgelöst wird". Und wenn letzteres unterbleibt, spricht man von Paruresis.

Jetzt stellt sich nur die Frage: Wie will man Paruresis heilen, denn dazu müsste man ja in das vegetative Nervensystem eingreifen können. Genauso, als wollten wir unseren Herzschlag beeinflussen. Das schaffen wir auch nicht, wenn wir hier über unsere Probleme diskutieren und uns gegenseitig bemitleiden - oder sieht das jemand anders ?


LG Svenja
carsten
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Beitrag von carsten »

hi svenja,
oder sieht das jemand anders ?


ja, ich. aus erfahrung und unzähligen mails, schreiben und anrufen von ehemals betroffenen.
diese haben im übrigen häufig ähnlich gedacht wie du: "es gibt keine lösung". das sagt eigentlich fast jeder betroffene in der anfangszeit. klar, es gibt keine wunderlösung, man muß es in die hand nehmen.
Wie will man Paruresis heilen, denn dazu müsste man ja in das vegetative Nervensystem eingreifen können.
nicht "eingreifen", wohl aber beeinflussen ( entspannung etc. ) - und das funktioniert.
Genauso, als wollten wir unseren Herzschlag beeinflussen.
und genau das funktioniert ( bis zu einem gewissen grad natürlich ). beispiel: sich selbst beruhigen durch tiefe atmung, autogenes training etc. bspw. vor prüfungssituationen.

paruresis ist kein physisches problem, sondern ein psychisches. dieses ist beeinflussbar und nach deinen worten "heilbar".
wäre das nicht so, würde man auch kein anderes psychisches leiden "heilen" können. einzig methode, dauer und intensität unterscheiden sich.

gruß

carsten

p.s. diese seite ist auch nicht zum "bemitleiden" gemacht, sondern für den austausch unter betroffenen. heult euch mal kräftig aus, aber dann nehmt das ruder in die hand. hier sind viele besucher, aber kaum jemand sucht peebuddies, kaum jemand sucht prof. hilfe - aber genau dies sind beispielhafte wege.
tom20
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Beitrag von tom20 »

Da kann ich mich karsten nur in jeder hinsicht anschließen. DAs vegetative nervensystem ist zwar nicht direkt beeinflussbar (sonst gäbe es paruresis wohl nicht), sehr wohl aber indirekt, was natürlich wesentlich komplizierter, schwerer und langwieriger ist. Aber wie carsten schon sagte, es ist möglich, jeder kann es schaffen, und dazu muss knsequent dagegen vorgehen.
Svenja
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Beitrag von Svenja »

p.s. diese seite ist auch nicht zum "bemitleiden" gemacht, sondern für den austausch unter betroffenen.
Hallo Carsten!

Meine Ausführungen waren eher ironisch gemeint. Du hast es ja selbst geschrieben:
und genau das funktioniert ( bis zu einem gewissen grad natürlich ). beispiel: sich selbst beruhigen durch tiefe atmung, autogenes training etc. bspw. vor prüfungssituationen.
Genau das soll hier ja bezweckt werden. Wenn es wirklich alles nur nutzloses Gequatsche wäre, was wir hier von uns geben, hätte ich mich hier schon längst ausgeklinkt. :cry: Aber vielleicht bringt der Beitrag (mit seiner Verlinkung auf Wikipedia) doch einige neue Erkenntnisse.

LG Svenja
waterman
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Registriert: 16. November 2006 23:06

Beitrag von waterman »

Liebe Leute,
ich finde es geradezu verantwortungslos, zu behaupten, jeder kann es schaffen. Es ist richtig, nur wer es angeht, kann was ändern. Das heißt aber noch lange nicht, dass jeder irgendwann die P. loswerden kann. Das hängt doch von vielen Faktoren ab. Als jemand, der seit 34 Jahren betroffen ist, drei Therapien hinter sich hat und durchaus auch beruflich von psychosomatischen Zusammenhängen eine Ahnung hat, es aber trotzdem noch nicht geschafft hat, die P. loszuwerden, wehre ich mich energisch gegen solche Behauptungen. Das führt nur zu Enttäuschungen und sogar Verzweiflung bei denen, denen es nicht gelingt.
Was diejenigen, die die P. nicht wegkriegen, erreichen können, ist, einen neuen Umgang damit zu finden, so dass es möglich wird, trotzdem damit leben zu können. Auch das ist harte Arbeit. Und auch dazu kann dieses Forum helfen, sich gegenseitig dabei zu helfen und zu unterstützen. Von daher ist es keineswegs unnützig, sich hier auszutauschen, auch wenn es nicht zum Erfolg führen sollte, die P. wegzukriegen.
Deshalb: nichts für ungut. Das Forum ist wichtig. Und wem es gelingt, von der P. geheilt zu werden, dem sei herzlich dazu beglückwünscht. Ich wünsche mir, auch dann ernst genommen zu werden, wenn ich "nur" erreicht habe, mit der P. so umzugehen, dass ich mein Leben dennoch lebenswert finde.
Schöne Grüße aus dem Norden
waterman
Rolf
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Beiträge: 235
Registriert: 30. März 2004 19:21

Beitrag von Rolf »

Glaube ich gar nicht, dass das so viele geschafft haben...

Außerdem, was heißt schon geschafft? Ein Ex-Raucher bleibt sein Leben lang Raucher (im Ruhestand), d.h. ich kann das jederzeit wieder anfangen und muss immer sehr aufpassen. Und das nach inzwischen einem Duzend Jahren.

Man muss das tatsächlich relativieren. Unsere Umwelt ist immer schneller, wie wir darauf reagieren können. Aber wer ist schon gern ohnmächtig? Bei Paruresis ändert sich die Umgebung rasend schnell, unter dem Strich werde ich immer verlieren.

Was macht also der gewiefte Paruretiker? Er passt sich seine Umwelt an. Mir selbst blüht dieser Affenstall mit 100 anderen und ganzen 2 qm für mich. Entsprechend gross ist die Panik. Was ich jedoch für mich rausgebracht habe ist, dass ich recht gut kann, wenn mir niemand in irgendeiner Form auf der Pelle hockt. Eine Binsenweisheit ich weiß, es geht allen so. Doch auf der Urlaubsfahrt z.B. konnte ich mir das so herrichten, dass ich in diesem Bewußtsein sogar direkt an der Fahrbahn kann und zwischen den Lkw, während am Ende des Fahrzeugs Leute zusehen. Früher absolut undenkbar.

Man muss damit spielen und mit sich selber Geduld haben. Leider braucht das Zeit und Gelegenheit. Ich fange doch nicht an der Autobahntoillette in der 4. Schlange mit Üben an, wenn mir die Leut schon lang vorher im Straßenverkehr auf den Zeiger gehen! Was käme wohl dabei raus, wenn ich mich dann auch noch hinten anstelle?!

Wie Du selber bemerkt hast, sind Deine Bedingungen kaum mehr zu übertreffen. Kaum Einfluss auf Deine Umgebung, von Deiner Rolle her Vorbild und Beispiel und einer Tätigkeit von 100% Kopflast. Wo da der Stress hingeht ist sonnenklar. Unter diesen Umständen musst Du bei Dir anfangen, es ist niemand sonst da.
Svenja
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Beitrag von Svenja »

Außerdem, was heißt schon geschafft? Ein Ex-Raucher bleibt sein Leben lang Raucher (im Ruhestand), d.h. ich kann das jederzeit wieder anfangen und muss immer sehr aufpassen. Und das nach inzwischen einem Duzend Jahren.
Hallo Rolf!

Mit Rauchen würde ich es nicht direkt vergleichen, weil es eine Sucht ist, die man sich selbst zugefügt hat. Eher würde ich es mit chronischen Krankheiten vergleichen, die nie weggehen (z.B. Asthma oder Gicht). Sie lassen sich zwar mal stark eindämmen, brechen aber dann doch eines Tages wieder aus.
Doch auf der Urlaubsfahrt z.B. konnte ich mir das so herrichten, dass ich in diesem Bewußtsein sogar direkt an der Fahrbahn kann und zwischen den Lkw, während am Ende des Fahrzeugs Leute zusehen. Früher absolut undenkbar.
So ist es mir auf der Loveparade auch gegangen (schau mal in den Thread mit der Breath-Hold-Method). Aber eben auch nur diesen einen Tag. Gestern in ner Kneipe war wieder die gleiche alte Sch...
Man muss damit spielen und mit sich selber Geduld haben. Leider braucht das Zeit und Gelegenheit. Ich fange doch nicht an der Autobahntoillette in der 4. Schlange mit Üben an, wenn mir die Leut schon lang vorher im Straßenverkehr auf den Zeiger gehen! Was käme wohl dabei raus, wenn ich mich dann auch noch hinten anstelle?!
Die Bazillenschleudern könnten mir auch ohne Paruresis gestohlen bleiben. Da fahre ich lieber den nächsten Rastplatz an.
Wie Du selber bemerkt hast, sind Deine Bedingungen kaum mehr zu übertreffen. Kaum Einfluss auf Deine Umgebung, von Deiner Rolle her Vorbild und Beispiel und einer Tätigkeit von 100% Kopflast. Wo da der Stress hingeht ist sonnenklar. Unter diesen Umständen musst Du bei Dir anfangen, es ist niemand sonst da.
Dem kann ich nichts hinzufügen - nur darauf kommt es an.

LG Svenja
tom20
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Beitrag von tom20 »

waterman,

du hast natürlich recht, eine vollständige "heilung" kann nicht von jedem erreicht werden, das haben aber psychische krankheiten so an sich. Des weiteren gibt es auf diesem Feld ja nicht "krank" oder "gesund" im strengen sinne, manche leute sind halt einfach anders als andere. Daher ist es wohl falsch, von einer "heilung" zu sprechen - auch wenn es druchaus möglich ist, als ehemaliger paruretiker irgendwann soweit zu sein, dass man in quasi jeder situation pinkeln kann, da gibt es entsprechende berichte - aber ich denke man kann durchaus sagen, dass jeder eine erhebliche besserung des problems bzw. besseren umgang damit erreichen kann, wie du schon geschrieben hast. Und ich denke, man sollte eben einfach die Hoffnung nir aufgeben.
Rolf
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Beitrag von Rolf »

Hallo Svenja,

mein Vergleich mit dem Rauchen passt doch? Man lernt es in der Gruppe, die erste, 2., 5. Zigarette schmeckt noch immer nicht. Plötzlich kann man's. Sogar allein, so war es jedenfalls bei mir. Auch die Entwöhnung ist vergleichbar: Die Verstimmtheit, das gebetsmühlenhafte Kreisen der Gedanken um die Sache...

Mehr noch - ich bin der Ansicht, wenn Du einen Gedanken oder eine Idee begriffen und verinnerlicht hast, dann gehört das Dir; und wenn das 100 andere vor Dir schon gedacht haben. Das Patentamt hat nicht immer Recht! Im Guten wie im Schlechten.

Dieser Gedanke mit den chronischen Krankheiten gefällt mir. Wobei ich Paruresis eher der Steuerung zuordnen würde als dem Stoffwechsel. Was ist schlimmer? Die schräge psychische Steuerung oder der entgleiste Stoffwechsel?

Diese „Bazillenschleudern“ habe ich nur wegen der Anschauung zitiert, wegen der Situation. Mit der Örtlichkeit selbst habe ich keine Probleme, ich bin Dir da 2, 3 cm voraus. Was Du mit der entsprechend guten Technik mehr als wett machen kannst 8)

LG Rolf
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