Hallo Alex,
ich entschuldige mich schon einmal vorsorglich dafür, dass dieser Beitrag eventuell etwas länger wird. Ich möchte jedoch einen möglichst genauen Einblick in die Therapie geben.
Insgesamt wird sich während der Therapie sehr stark an das Manual von Herrn Hammelstein gehalten.
Bevor die Übungen beginnen wird erstmal ein persönliches Paruresis-Modell für den Patienten erstellt, also welche möglichen Auslöser gab es und was hält die Paruresis aufrecht, wie funktioniert überhaupt die Blase und was hat es mit dem Sympathikus/Parasympathikus auf sich. Diesen Schritt halte ich im Übrigen auch für besonders sinnvoll, da man so erst einmal versteht wie und warum die Paruresis entstanden ist. Gleichzeitig wird auch schon begonnen die jeweiligen Bewertungen der Situation wie z.B. "Ohje, das wird gleich nicht funktionieren" zu analysieren und mit in das Modell einfließen zu lassen. Hierbei wird dann auch schnell klar, dass die Bewertung der Situation für die Paruresis ausschlaggebend ist (bei mir war es jedenfalls so). Das sind erst einmal vorbereitende Schritte. Im nächsten Schritt wird analog zu Hammelsteins Manual eine Schwierigkeitshierarchie von 1-10 erstellt, an der sich dann später die Übungen orientieren. Auch hier wird im Laufe der Therapie oft noch etwas angepasst, da man oftmals Situationen als vermeintlich leicht einstuft, die sich aber während der Übung doch als schwieriger entpuppen (andersherum natürlich genauso). Parallel muss der Patient auch lernen seinen Harndrang einzuschätzen (von 1-10) und den Harnstrahl nach 1 bis 2 Sekunden zu unterbrechen. Übungen werden erst ab einem Harndrang von 7 begonnen, da dies hilfreich für die Urination ist. Die Erfahrung hat bei mir gezeigt, dass ich meinen Harndrang schon bei einer 7 einschätze, wobei dieser vielleicht gerade einmal bei einer 4 ist.
Nun zu den Übungen:
Die ersten Übungen wurden bei mir mit leerer Blase durchgeführt, damit ich mich, genau wie du es geschrieben hast, an die Situation gewöhne und auch lerne, dass ich eine Toilette blockieren darf. Damit beginnt auch die erste Überpüfung der Bewertung "Ich darf keine Kabine blockieren" und "Ich muss schnell machen". Übungsort war hier ein Café mit nur einer Toilette, auf der ich 10 Minuten ohne Harndrang verweilen musste und beobachten musste, was mit meiner Anspannung passiert, auch wenn Leute davor warten. Die Situation aushalten. Und siehe da: die ersten Minuten waren wirklich schwer und die Anspannung stieg bis ins unermessliche, diese nahm aber auch nach 5 Minuten immer weiter ab.
Die Übungen mit Harndrang begannen zuerst ganz einfach auf der Toilette meines Patientenzimmers, auch hier habe ich im vorhinein eine Schwierigkeitsskala erstellt mit 3-4 Schritten, indem ich meine Therapeutin so platziere, wo es für mich noch möglichst einfach ist zu urinieren. Erfolgt die Urination nicht, geht man eine Stufe zurück. Das gleiche Prozedere verfolgte ich dann auch auf der Kellertoilette der Klinik bis hin zur Ambulanztoilette, wo zwei Toiletten nur durch eine oben und unten geöffnete Trennwand voneinander getrennt waren (für mich sehr schwierig). Hierbei varriiert man auch mit Geräuschen (Schritte vor der Kabine, räuspern, Wasserhahn an etc.) Diese Übungen haben ca. 2,5 Wochen beansprucht, wobei fast jeden Tag einmal geübt wurde. Insgesamt liegt während der Therapie der Fokus aber nicht ausschließlich auf den Übungen, sondern auf der Arbeit an den Bewertungen! Die Übungen dienen dazu, die meist negativen Bewertungen zu überprüfen, positive Erfahrungen zu sammeln ( also ich kann Urinieren) und diese dann langfristig zu verbuchen. Bei den Bewertungen hat mir das ABC-Schema sehr viel geholfen. Die nächsten Übungen fanden dann draußen statt. Also Toiletten im Café, in der Uni, im Kaufhaus oder auf den Markttoiletten. Hier auch das gleiche Prozedere wie bei den Übungen in der Klinik. Ich musste während der Übungen lernen, dass nicht die Urination ausschlaggebend ist ( an der man sich immer festkrallen möchte), sondern das sich stellen der Situation macht die Übung zu einem Erfolg. Dass man nicht mehr vermeidet, sondern gezielt auf Toiletten geht wo Leute sind. Die Urination ist nur das i-Tüpfelchen oben drauf. Ich glaube, dass diese Ansicht mir besonders geholfen hat. Mit der Zeit wird man in den Übungen immer sicherer und die Anspannung nimmt von Mal zu Mal immer mehr ab. Es gab auch Situationen, in denen ich völlig entspannt auf der Toilette saß, die Urination aber trotzdem nicht erfolgte. Es liegt an der Bewertung im Kopf, das ist der letzte Schritt meiner Meinung nach:-)
Ich hoffe, ich konnte soweit alles beantworten, stehe aber auch gerne bei weiteren Fragen zur Verfügung.
Liebe Grüße
Rebecca