Da ich noch sehr berührt bin von den Erlebnissen des Wochendes wird mein Text etwas länger ausfallen

Habe beschlossen gerade für Leute, die nicht beim Workshop waren, eine ausführlichere persönliche Berichtserstattung zu verfassen.
Hah! Ich habe also tatsächlich an diesem Workshop teilgenommen!
Glaubt nicht, dass es eine einfache Entscheidung war. Ich war ziemlich lange mit mir am hadern – es ist nicht gerade um die Ecke, es geht ans Portemonnaie, es ist auf englisch... und vielleicht brauche ich diesen Workshop ja gar nicht, vielleicht kann ich andere Wege zum Üben finden???.. und und und.
Es war eine wirklich gute Entscheidung sich von diesen Zweifeln nicht abbringen zu lassen!
Als ich in unserem Gruppenraum ankam, war dort ein Stuhlkreis aufgebaut, der schon zu großen Teilen mit männlichen Leidensgenossen gefüllt war. Bis einige Minuten vor Anfang des Workshops flehte ich also innerlich, dass doch bitte noch eine Frau reinkommen möge.
Ich hatte Glück und zusammen mit Steven kam eine junge sehr sympathische Frau. (Wie ich später erfuhr, war dies nicht bloß Glück, sondern Steven hatte sie extra für mich aus einem Workshop aus Russlad mitgebracht!!)
Bezeichnend fand ich, dass als eine der ersten Dinge Steven den Schlüssel seines Zimmers bereitlegte, damit niemand die Sorge haben müsste in eine prekäre Toilettensituation an diesem Abend zu kommen.
Ja, gerade am Tag der Ankunft - als wir abends vor versammelter Runde unsere Leidensgeschichten vortrugen, war ich mächtig nervös.
Als ein gestandener Mann seine Geschichte vortrug und dabei den Tränen nahe war, ging mir das so ordentlich unter die Haut, dass ich fast mitweinte.
Und als ich mich dann zu Wort meldete, musste auch ich mich mächtig zusammenreißen um nicht loszuheulen. Doch das war es mehr als Wert! Die Geschichten der Andren berührten mich tief, ich konnte mich in jeder wiederfinden. Manche der Storys schienen wie ein Alptraum und ich erkannte, dass es mir ja teilweise doch nicht so schlecht geht, wie ich dachte.
Schon an diesem Abend entstand eine sehr verbindende Sympathie in unserer Runde, sodass ich trotz der drohenden Konfrontationsübungen am nächsten Tag mich schon auf das Wiedersehen freute.
Samstag morgens trafen wir uns wieder. Während Steven einige theoretische Hintergründe über die Paruresis vortrug und Fragen beantwortete, pumpten wir uns systematisch mit Wasser voll für die anstehenden Übungen. Jeder hatte am Abend zuvor seine persönliche Schwierigkeitsskala erstellt und individuell festgelegt, was er sich an diesem Wochenende zu erreichen erträumte.
Die Übungen fingen an und zunächst war es natürlich eine sehr befremdliche Situation. Jedem stand es frei nach seinem eigenen Ermessen die Übungen zu beginnen, sodass einige in ihren Hotelzimmern versuchten zu pinkeln, während ihre Peebuddies auf einer anderen Etage des Hotels warteten.
Meine Pinkelfreundin und ich verstanden uns wirklich gut, ich fühlte mich total aufgehoben und machte schnell Erfolge. Nach dem dritten Erfolg fing es sogar an Spaß zu machen

An diesem Tag gingen wir noch gemeinsam ins Restaurant und schlossen dann eine weitere Übungseinheit an. Ich machte kontinuierlich große Fortschritte und fühlte mich sehr wohl.
Die ganze Situation erschien mir irgendwie wie aus einer Absurdkomödie – wildfremde Menschen treffen sich, holen wohl den ganzen Flüssigkeitsbedarf der letzten dehydrierenden Jahre nach^^ und gehen dann systematisch gemeinsam pinkeln

Alle geben wahnsinnig aufeinander Acht. Hin und wieder hat der ein oder andere ein Tief, dann ist jemand wieder auf Wolke 7 – unfassbar berührt von der Möglichkeit „das Normalste der Welt“ seit Jahren wieder erledigen zu können, ohne auf der Flucht zu sein.
Gemeinsame Restaurantbesuche und verständnisvolle mitfühlende Blicke, wenn jemand zurück zum Hotel muss, weil die Restauranttoilette leider keine Erleichterung gewährte.
Ich persönlich habe tatsächlich die 10 auf meiner Schwierigkeitsskala erreicht! Bei der letzten Übung saß meine Pinkelfreundin in einer Kabine neben mir und hielt mich mit Erzählungen bei Laune, während es mir tatsächlich gelang einigermaßen entspannt zu pinkeln!!
Mir ist natürlich klar, dass es mit anderen Mädels nicht so sein wird. Bei meiner Mitstreiterin wusste ich ja , das sie mich 100%ig nachvollziehen und –fühlen kann. So hatte ich also abgesehen von etwas Scham keine Probleme.
Doch die Erfahrung hat mich wahnsinnig gepuscht!
Dieser Workshop gab mir genau das, was ich mir erhofft hatte (und noch vieles mehr) – eine wachsende Akzeptanz und Verständnis für mich selbst und einen mächtigen Ermutigungsschub für die Übungen im Alltag.
Das Gefühl in der Gruppe war wirklich außergewöhnlich – einige berichteten davon, sich wie in einer Familie zu fühlen!
Ich fühlte mich vollkommen akzeptiert, konnte völlig frei sein und offen. Glaubt mir, dass ist in meinem Alltag ganz und gar nicht der Fall.
Ich konnte einfach Fehler machen und über mich lachen. Wir konnten alle über uns lachen.
Die Paruretikertruppe hat sich nicht als eine Versammlung von soziophoben Freaks, sondern als eine herrlich sympathische und humorvolle Truppe erwiesen!
Ich bin nun fast etwas traurig wieder zurück im Real Life zu sein..
Ich bedanke mich hiermit noch mal wirklich herzlich bei allen Teilnehmern, bei meiner weiblichen Mitstreiterin, bei Chris und natürlich nicht zuletzt bei Steven, der stets mit Herz und Verstand zur Seite stand.
Werde nächstes Jahr bestimmt wiederkommen
Herzliche Grüße,
Tinkerbell alias Yulia