kurz zu mir. Ich bin weiblich, 24 Jahre alt und habe trotz meiner jungen Jahre einen langen Weg hinter mir. Liebe Männer, vielleicht lohnt sich das Lesen auch für euch.
Ich habe mich entschlossen, meine "Erfolgsgeschichte" hier zu teilen, um Mut zu machen und zu vermitteln, dass keiner alleine mit diesem Thema ist. Der nächste Abschnitt beschreibt in "Kürze" zusammengefasst meine "Leidensgeschichte". Wie es besser wurde lest ihr im Abschnitt danach

Bereits in jungen Jahren hatte ich immer wieder Unterleibsschmerzen. Häufig hatte ich die Angst, es könnte eine akute Blinddarmentzündung sein. Wie sich nach vielen Jahren herausstellte, lag die Problematik ganz woanders. Dass ich unter Paruresis leide, geschweige denn dass es eine Erkrankung ist und dass es einen Begriff dafür gibt, habe ich erst Jahre später herausgefunden.
Solange ich mich zurück erinnern kann, war ich nie auf fremden bzw. öffentlichen Toiletten. Das stellte allerdings auch nie ein Problem für mich dar, da meine Blase immer ziemlich viel aushalten konnte, bis jedoch irgendwann die körperlichen Beschwerden hinzu kamen..
Als ich wieder mal Unterleibsschmerzen hatte, waren diese so schlimm, dass ich ins Krankenhaus musste. Als ich im Krankenhaus eine Urinprobe abgeben sollte - was natürlich nicht funktionierte, gab ich mir selbst die Schuld dafür. Ich war damals 12 Jahre alt, es war mitten in der Nacht, meine Mutter war genervt und die Ärzte in der Notaufnahme auch. Konsequenz.. so lange dort sitzen und trinken, bis eine Urinprobe möglich ist. Naja, was soll ich sagen, es war nicht möglich. Es wurde dann nicht weiter untersucht und da der Ultraschall unauffällig war, wurden wir wieder nachhause geschickt. Jetzt rückblickend frage ich mich, wieso sich die Ärzte nicht damals schon damit auseinandersetzten und prüften, warum es nicht möglich war für ein 12 Jähriges Mädchen zur Toilette zu gehen. Statt Verständnis wurde mir Verachtung entgegengebracht. Das führte sich noch jahrelang bei anderen Ärzten weiter so fort. Ich frage mich, ob diese Menschen denken, dass es einem Spaß macht stundenlang zu trinken, um doch nicht auf die Toilette gehen zu können. Nur meine engsten Freunde bekamen später mit, dass etwas nicht stimmte. Doch selbst bei diesen stieß ich auf Unverständnis. Ich stelle mich an und wieso ich so ein Theater machen würde. Nein, ihr Lieben, Ich versuche auf 5 verschiedene Toiletten in einem Freizeitpark zu gehen, weil ich Spaß daran habe... Ich schauspielere nur und probiere die nächste öffentliche Toilette aus, nur um festzustellen, dass meine Blase nach 2 Liter Wasser immer noch nicht entleert werden möchte. Das ist meine Lieblingsbeschäftigung. Irgendwann habe ich aufgehört zu versuchen, es zu erklären. Jemanden der das nicht kennt, kann das nicht ansatzweise nachempfingen. Ich habe oft den Glauben an mich selbst verloren und war sauer auf mich und meinen Körper. In meiner Studienzeit spitzte sich alles zu, ich war von früh bis spät abends nicht zuhause und somit auch nicht auf Toilette. Den Harndrang hatte mein Körper inzwischen außer Haus schon komplett ausgeschaltet. Das führte dazu, dass ich meine Blase dauerhaft einem Marathon aussetzte. Ich bekam kurze Zeit später höllische Blasenentzündungen, ein Antibiotikum nach dem anderen. Eines Tages, ich hatte wieder mal nicht auszuhaltende Schmerzen, stellte der Arzt keine Bakterien mehr fest und wollte mich wieder nachhause schicken. Ich habe ihn angefleht, mir zu helfen. Ich weiß nicht, was ich sonst getan hätte. Meine Lebensqualität war ziemlich beschränkt. Und ich war sonst ein sehr lebensfroher Mensch. An dem Tag erhielt ich nach Drängen und Bitten eine Überweisung zum Urologen. Die erste Blasenspiegelung brach er ab, da er sagte, bei der Entzündung sei es Folter. Bei der zweiten unter Vollnarkose stellte er fest, dass meine Blase unfassbar entzündet und kaputt ist ( es waren keine Bakterien zuvor festzustellen). Die Ursache ergründete er nicht und so merkwürdig das klingt, mir war der Zusammenhang damals auch nicht klar. Ich erhielt ein Medikament, womit meine Blase wieder aufgebaut werden sollte, die Schmerzen waren danach weg. Das Medikament musste ich allerdings mit 900 Euro selbst tragen. Die Krankenkasse sah keine passende Diagnose. Erst ab diesem Tag setzte ich mich mit dem ganzen Thema auseinander und stellte einen Zusammenhang fest. Das Puzzle setzte sich langsam zusammen. Ich stieß auf den Begriff Paruresis und gab mein Bestes, Tipps zu befolgen, um diesem ganzen Leidensprozess für immer ein Ende zu setzen.
Vor zwei Jahren, nachdem ich hier einen Beitrag von einem anderen Mitglied gelesen habe, kam dann die Wendung. Dieser Mann hatte geschrieben, dass er sich selbst einen Katheter gebaut hatte für eine Flugreise. (Diese waren für mich immer ein absolutes Grauen. 12 Stunden bis Singapur- ich bin fast gestorben, weil ich Angst hatte, dass meine Niere das nicht mitmacht). Da kam mir die zündende Idee, dass das eine Möglichkeit wäre, wenn ich ganze Tage außer Haus bin. Ich ging zum Urologen und forderte mir Katheter ein (nicht die mit Beutel). Sondern diese Einmal Katheter.. Sie funktionieren wie ein Strohalm, mit dem man die Verbindung zwischen Blase und "Außenwelt" schafft


Es gibt auch heute noch Situationen, in denen es mir schwer fällt auf die Toilette zu gehen, aber ich bin so viel weiter gekommen und habe mir meine Lebensqualität zurück geholt. Ich gehe Vollzeit arbeiten

Kurz und knapp zusammengefasst.. Therapie ist bei Paruresis immer gut und hilfreich! Lernt eure Ängste besser kennen und damit umzugehen. Die Selbstkatheterisierung ist für mich ein Überbrückungsmitte


Ich wünsche allen, dass ihr euch nicht dafür schämt, dass ihr euch nicht die Schuld gebt und eure ganz eigene Erfolgsgeschichte erlebt! Jeder einzelne von euch ist es wert! Holt euch euer Leben wieder und lasst euch nicht von der Erkrankung klein kriegen, auch wenn sich das einfacher schreiben als umsetzen lässt! Ich bin dennoch davon überzeugt, dass es hier jeder schaffen wird, der an sich glaubt und sich Zeit gibt. Besonders lasst euch nicht von anderen Leuten unter Druck setzen. Sie haben keine Ahnung! Und es bringt euch kein Stück weiter. Auch wenn euer Körper manchmal nicht ganz so will, wie euer Kopf, leistet er täglich Höchstarbeit. Nur wenn wir trotzdem einen positiven Umgang mit ihm haben, wird auch der Kopf und die Psyche sich entspannen können. Ich wünsche euch alles Glück der Welt! Das wertvolle an dieser Erkrankung und die Chance darin kann sein, dass ihr zwischenmenschlich wahrscheinlich vielen Menschen ein Stück weit voraus seid! Verständnis aufzubringen, für Dinge die man nicht unbedingt selbst nachvollziehen kann.. das hat es mich auf jeden Fall gelehrt.
(Für alle Mädels da draußen mit Paruresis.. Vaginismus kann ein Faktor sein, der Paruresis begünstigt und ist behandelbar! Manchmal liegt die Lösung sehr nahe und doch ist es ein langer Weg bis dahin. Ihr packt das!

Alles erdenklich Gute! Eure Chrissy