Neu im Forum / meine Leidensgeschichte / Hoffnung?

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porcupine_tree
Newbie
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Registriert: 22. Mai 2013 23:40
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Neu im Forum / meine Leidensgeschichte / Hoffnung?

Beitrag von porcupine_tree »

Hallo alle zusammen! Ich bin neu hier im Forum (wenn auch nicht neu bei der Krankheit) und möchte mich kurz vorstellen. Ich freue mich über Kommentare oder Antworten.

Ich bin momentan 28 Jahre alt. Die Krankheit habe ich jetzt schon seit 11 Jahren. Dabei kann ich mich noch relativ genau erinnern, wie alles begann:
Damals war ich noch in der Ausbildung und wir waren mit ein paar Jungs an diesem Tag auf freiem Feld arbeiten. Keine Büsche, keine Bäume...also der Horror eigentlich, was zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht Teil meines Denkens war.

Irgendwann musste irgendwer Pipi und verkündete sein Vorhaben, jetzt hier hin zu pissen. Wie das unter Männern nun mal oft so ist, fanden die Anderen (und ich) das lustig und wir drehten uns alle um, um in einer Schlange stehend einfach so aufs freie Feld zu pissen.

Bis genau zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nie Probleme und entsprechend auch keine Angst davor. Doch aus irgendeinem Grund funktionierte es an diesem Tag trotzdem nicht. Die Anderen bekamen es mit und einer von ihnen sagte sogar etwas. Mir war die Sache äußerst unangenehm, das Gefühl kennt ihr ja alle. Ich fühlte mich vor den Anderen bloß gestellt und schämte mich. Vermutlich erinnert sich von den Jungs niemand mehr daran, aber für mich war es ein einschneidendes Erlebnis, das mich bis heute verfolgt.

Danach verschlimmerte sich die Krankheit Jahr für Jahr. Zu Anfang dachte ich dann beim Toilettengang kaum viel nach, doch war das ungute Gefühl vom ersten Erlebnis noch irgendwie im Kopf gespeichert und wenn man dann nur eine Sekunde daran dachte, dass es dieses Mal vielleicht auch nicht klappt, dann klappte es auch nicht. Das verstärkte die Angst beim nächsten Mal und der Teufelskreis war geboren. So wurde es von Mal zu Mal schlimmer.

Zur Entwicklung hat sicher maßgeblich der Fakt beigetragen, dass ich ohnehin schon von Kindertagen an wenig Selbstvertrauen hatte, was von meinem strengen Vater und meiner alles kontrollierenden Mutter kam. Generell hatte ich nicht die beste Kindheit und ich war schon immer situationsbedingt recht unsicher. Das Krasse ist aber, dass ich eigentlich ein sehr sehr offener und geselliger Mensch bin. Oft unterhalte ich die Leute sogar. Das aber nur, wenn ich mich sicher fühle (im Freundeskreis, bei guten Bekannten oder mit viel Alkohol^^).

In den weiteren Jahren war ich das Problem im Prinzip kaum angegangen. Es war auch kaum notwendig, weil ich in den meisten weiteren Situationen ein Einzelklo zur Verfügung hatte. Partys und Feste konnte man immer irgendwie rum bekommen, indem man sich kurz draußen absetzte. Meidungsverhalten halte ich für total kontraproduktiv. Auch fiel es mir im angetrunkenen Zustand immer schon leichter zu urinieren. So verdrängt man seine Probleme eben manchmal. Weil es aber trotzdem immer genügend Situationen gibt, in denen man nicht einfach mal kurz abhauen kann (Kino, Bar, Geschäftsessen), versuchte ich immer wieder diverse Tricks.

Ein Trick bestand darin, auf meinem Handy immer Zuhause beim Pinkeln ein bestimmtes Bild anzuschauen. Ziel war es, mich zu Konditionieren, genau dann auch Pipi zu können, wenn ich in der Öffentlichkeit bin und das Bild anschaue. Leider hat das Prinzip nicht funktioniert.

Ein Trick der sehr gut funktioniert: Mit einem engen Freund gemeinsam pinkeln zu gehen. Das klappt deshalb so gut, weil ich dabei reden kann. Reden generell scheint zu helfen. Meine Theorie ist, dass man das Gehirn ablenken kann, wenn man beispielsweise erzählt. Bei mir funktioniert der Redetrick auch, wenn die Leute im Klo fremd sind. Wenn man Smalltalk beherrscht, kann das hier hilfreich sein. Wenn es allerdings zuverlässig und immer mit etwas "Geschwalle" klappen würde, müsste ich hier auch nicht schreiben. Die Angst bleibt und wenn die groß genug ist, helfen Tricks nicht mehr.

Am Schlimmsten sind noch immer die Toiletten, auf denen es unangenehm still ist. Dann habe ich noch lieber eine überfüllte Kneipentoilette. Da fällt alles weniger auf.

Ich bin nicht der Meinung, man müsste gleich jede Angststörung total tot therapieren. Leider haben sich jedoch meine privaten Lebensumstände (Familie, Liebesleben) in den letzten Jahren stark verschlechtert, wodurch mein Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen auch stark gelitten hat und die Sache auf dem Klo noch viel seltener geklappt hat. Außedem habe ich zu einem besseren Job innerhalb meiner Firma gewechselt. Ich bin jetzt an einem anderen Standort in einer Stadt und dort ist die Toilettensituation ganz anders. In der alten Abteilung waren ansich schon wenig Leute, die dann noch oft im Außendienst waren, wenn nicht sogar ich selbst im Außendienst war. Das gab fast nie Probleme. Im neuen Job teile ich die Toilette mit einem kompletten Flur. Das ist für mich ein riesen Problem.

Innerhalb kürzester Zeit hat sich die Lage extrem zugespitzt. Die neue Umgebung und die fremden Leute (vor denen ich etwas darstellen möchte) machen mich sehr ängstlich und unsicher. Obwohl es sogar irgendwo im Haus Einzeltoiletten gibt, benutze ich sie nicht, aus Angst gesehen zu werden (die sind nicht gerade bei mir um die Ecke). Auch gibt es natürlich Kabinen..aber Kabinen sind genauso schlecht, weil man bei dieser Stille eben hört, dass beim Nachbar nichts "läuft".

Manchmal gehe ich nur ein einziges Mal am Tag und halte es für den Rest der Zeit komplett an. Ich habe oft starke Schmerzen und seit ein paar Wochen auch am Wochenende das seltsame Gefühl "immer zu müssen" obwohl ich nicht muss. Langsam wird es also auch ein körperlich sehr ernstzumehmendes Problem. Jetzt muss dringend "etwas laufen"!

Wie ich jetzt konkret vorgehen möchte, weiß ich noch nicht. Ich bin sehr verzweifelt und weiß nicht mehr weiter. Auf jeden Fall möchte ich jetzt erst einmal einen Pee-Buddy in meiner Gegend suchen. Vielleicht kann man sich gemeinsam helfen. Vielleicht habt ihr aber auch noch einen Tipp.

Ich komme übrigens aus dem Rhein/Neckar-Raum. Werde noch einen PeeBuddy-Post erstellen, falls jemand Interesse hat!

Danke an das Forum, es hat mir immerhin schon geholfen, mich nicht komplett alleine zu fühlen!
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WeißerRiese
User
Beiträge: 6
Registriert: 25. Mai 2013 21:25

Hi

Beitrag von WeißerRiese »

Hallo und Herzlich willkommen!

 

Danke für deinen ausführlichen Beitrag! Sich dem Thema und sich hier was von der Seele zu schreiben ist der erste Schritt zur Heilung.

Ist interessant, die Auslöser-Geschichte so genau zu kennen. Ich denke damit gehörst du eher zu einer Minderheit, die meisten können Ihren Auslöser vermutlich nicht genau eingrenzen. Aber den Auslöser zu kennen oder nicht zu kennen ändert nichts an der Therapie, nämlich der Konfrontation mit der Angst.

Diesbezüglich hab ich dir eine PN geschrieben, denn ich gehöre zu einer Gruppe von bislang 3 jungen Leuten aus deiner Umgebung, die sich regelmäßig zum Üben treffen.

Der Weg ist das Ziel, so abgedroschen dieser Spruch auch ist, er ist wahr.

 

Gruß, Alex[/i]
ATARI
User
Beiträge: 17
Registriert: 22. August 2013 19:15

Beitrag von ATARI »

Hi, so wie du es beschreibst, hat sich auch ähnlich bei anderen eingeschlichen. So ziemlich jeder erlebt es mal, das er nicht pinkeln kann, ob jetzt andere dabei sind oder einfach aus Stress. Das ist unangenehm, aber menschlich. Erst als Folge entwickelt man die Angst vor der Situation an sich. Man steigert sich in seine Angst hinein,macht sich Sorgen, obwohl man eigentlich ein Lösung sucht. Das heißt auch, man macht sich Angst. Also sollte man versuchen sich klar zu machen, das man eigentlich nichts machen muss. Das ist nicht einfach, aber es bringt ein gewisses Mass an Entspannung, wenn es gelingt. Zu starke Selbstbeherrschung / Selbstbeobachtung ist kontraproduktiv. Wenn ich zb in einer Situation bin wo ich angespannt bin, merke das es nicht gut laufen wird, suche ich die "beste" Toilette auf, die dir mir am angenehmsten ist. Selbst wenn sie auf der anderen Seite des Gebäudes ist. Ich weiss, dass das viele so machen. Das ist auch einfach dein gutes Recht, wer sollte dich dafür verurteilen? Dafür muss man sich nicht rechtfertigen, du musst dafür sorgen das du dich wohlfühlst. Es macht doch keinen Sinn falsche Ansprüche an sich zu stellen. Auf der Toilette (Kabine) nehme ich oft mein Handy zur Hand und lese alte Nachrichten oder irgendwas im Internet. Oder versuche bewusst an etwas Schönes und Positives zu denken. Nach den Motto wo Freude ist, kann keine Angst sein. Es lenkt ab, irgendwann läuft es. Und dann einfach Zeit lassen, Geduld haben. In akuten Situation hat mir das schon oft geholfen. Ist nicht toll, aber besser als sich zu quälen. Hast du mal eine Entspannungstechnik gelernt? Konfrontation ist gut, aber man darf sich nicht selbst überfordern. Zu viele Rückschläge entmutigen nämlich dann eher...
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