Da ich mit Paruresis mittlerweile einen recht guten Umgang gefunden habe und allwöchentlich in der Selbsthilfegruppe mit anderen Betroffenen in Kontakt bin, dachte ich mir, wäre es ganz sinnvoll, hier mal ein paar Tipps reinzuschreiben, vielleicht hilft es ja dem ein oder anderen. Außerdem kann dem Forum ein bisschen Motivation doch nicht schaden!
Am Anfang habe ich auch den Fehler gemacht und mich z.B. mit einer Freundin verabredet mit der klaren Intention: Wir üben jetzt das Pinkeln! Das habe ich auch eine Zeit lang durchgezogen, was aber zu kaum Erfolgen geführt hat. Man setzt sich auch möglicherweise zu hohe Erwartungen vor so einem Treffen.
Dann habe ich angefangen, jede Gelegenheit am Schopfe zu packen, die sich mir bot. Wenn ich in der Uni aufs Klo muss, warte ich nicht mehr bis zuhause, sondern gehe einfach mal und wenn es nicht klappt, habe ich immernoch meine sichere Ausweichtoilette. Als ich wochenlang in einem Großraumbüro arbeiten musste, habe ich meinen Arbeitsplatz kurzerhand zu einer Übungsstätte umfunktioniert. Sicher war das nicht angenehm, aber es wurde irgendwann normal, routiniert und das ist der Schlüssel. Ich habe nicht mit dem Trinken gespart, habe einfach auf meinen Körper gehört und wenn ich musste, habe ich mich nicht zurückgehalten. Anfangs hatte ich noch einige Misserfolge, die waren nicht angenehm, aber man muss da Willensstärke zeigen. Es wurde für mich normal, jeden Tag aufs Klo zu gehen und mein Adrenalinspiegel schoss nicht immer sofort in die Höhe.
Noch einen Tipp, der zwar Überwindung kostet, der aber das Leben mit Paruresis ungemein erleichtert: Andere davon in Kenntnis setzen! Man muss nicht seine ganze Lebens-/Leidensgeschichte erzählen, einfach kurz sagen: Ich habe da so ein Problem, ich kann nicht Pinkeln wenn andere dabei sind, das ist nichts zum drüber lachen, sondern eine wissenschaftlich anerkannte soziale Phobie namens Paruresis.
Und dann können sich die anderen darauf einstellen. Ich war jahrelang ein Meister der Ausreden, was nur dazu führte, dass man Menschen verletzt weil man ihnen absagt o.ä. und dass man irre unter Druck steht, einen Ausweg aus seiner Situation zu finden. Jetzt kann ich einfach sagen: Geht schon mal vor und tut einfach so, als gäbe es mich gar nicht. Und schon kann man viel entspannter pinkeln.
Nochmal zurück zum Alltag: Nicht nur in der Uni, auch wenn ich in der Stadt unterwegs bin! Wenn ich einen unangenehmen Blasendruck verspüre, stelle ich mich einfach der Situation und probiere mich an der Kaufhaustoilette, so wie jeder andere Mensch auch seinem physischen Impuls folgt. Man muss die Übungen als Teil des Alltags sehen und nicht extra viel Trinken, nur um eine Übungssituation herzustellen. Die Übungen müssen vom Körper bestimmt werden, so wie das normale Pinkeln eben auch. Und wenn man nicht bewusst übt, wird das Üben dann auch zur Normalität und es nimmt einem einerseits den unglaublichen Druck und zweitens ist man freier in seiner Gestaltung und hat mehr Zeit für die wichtigen Dinge des Lebens.
Also das sind wirklich die Dinge, bei denen ich aus Erfahrung sagen kann, dass sie mir zumindest eine Lockerheit diesem Thema gegenüber gegeben haben, die ich mein ganzes Leben noch nicht hatte. Ich bin auch noch nicht geheilt. Aber ich leide nicht darunter. Oder kaum noch.
Liebe Grüße!