Aus der Ostschweiz

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Rhippitt1
Newbie
Beiträge: 2
Registriert: 29. September 2025 22:21

Aus der Ostschweiz

Beitrag von Rhippitt1 »

Hallo zusammen

Ich war vor x Jahren schon mal hier, meine Anmeldung ging nicht mal mehr, ich habe sie neu gemacht.

Ich bin leider ein schwerer Fall, 55 Jahre alt, versuche aber den Mut nicht zu verlieren. Angefangen mit so 18 Jahren an den Pissoirs, verschlimmerte sich die Paruresis in Schüben zusehends. Vor 7 Jahren ging in in die Neurourologie, sie machten verschiedene Tests wie u.a. eine Urodynamik, stellten dabei fest, dass der Blasenausgang eher eng ist und die Prostata eher ein wenig zu gross. Mann könnte da ev operativ was machen, doch es könnte auch sein, dass es danach schlechter wird, haben sie mir gesagt. Ich hatte viele peinliche Momente zu überstehen in denen ich Wasser lösen sollte beim Arzt und es nicht ging. Sie legten mir sogar einen Suprapubischen Katheter, (da damals auch Schmerzen in der Prostata waren) aber auch das hat nicht geholfen, ausser dass ich mir diesem "Wasserhahn" am Bauch überall in den Kabinen konnte. Trotzdem war das alles sehr erniedrigend und ich brach dann nach Monaten ab.

Zur Zeit gehe ich seit 3 Jahren in die Gesprächstherapie. Antidepressiva hatte ich auch schon, da ist aber immer die Nebenwirkung"erschwertes Wasserlassen" und das merke ich dann auch deutlich wenn ich das nehme, ich habe es schon wochenlang probiert. Bei mir ist die Paruresis so ausgeprägt, dass ich eigentlich nur noch zuhause auf die Toilette kann. Der Wohnort ist so gewählt, dass ich in jeder Pause nach Hause kann. Weiterbildungen sind ein Graus, da wird einfach nichts getrunken. Ich versuche so gut es geht noch ein wenig am sozialen Leben teilzunehmen, ist aber schwierig. So 4-5 Stunden abends geht meist recht gut, das reicht ja immerhin um Essen zu gehen, für ins Kino oder zum Tanzen. Aber ihr könnt euch sicherlich vorstellen, wie wenig soziale Kontakte ich mittlerweile habe, denn am liebsten bin ich alleine zuhause ohne Probleme, dafür traurig ohne Ende. Meine langjährige Freundin habe ich verlassen, da immer wieder der Druck auftauchte, an eine Familienfeier teilzunehmen oder einen Tagesausflug mitzumachen. Ich hatte keine Energie mehr für das. Einen Reizdarm ist vor so 3 Jahren auch noch hinzugekommen, sehr sehr lästig, aber immerhin geht das grosse Geschäft meistens problemlos auswärts oder bei der Arbeit.

Eine grosse Zukunftsangst von mir ist auch das Ende vom Leben, habe schon einige liebe Menschen die mir nahe stehen sterben sehen, allesamt sind sie die letzten Tage nicht mehr aufgestanden und haben in eine Windel gemacht, eine unglaublich schwere Vorstellung für mich, wenn ich mal so sterben sollte. Es ist halt schlichtweg so, dass alles was nicht gut geplant ist in meinem Leben oder nicht planbar ist mich total verängstigt, da ich sofort immer an das Toilettenproblem denken muss. Niemand weiss davon, nur meine Exfreundin war eingeweiht, hat es aber nur bis zu einem Teil verstanden. Ich bin Meister der Schauspielerei, sehe sogar noch passabel aus, nie und nimmer würde jemand solch grosse Probleme bei mir vermuten.

Ich danke euch für die Geduld, diesen langen Text gelesen zu haben und hoffe, dass ihr ziemlich alle samt besser dran seid als ich.

Herzliche Grüsse Rhippitt1
FreeMind
User
Beiträge: 13
Registriert: 26. Mai 2025 21:02
Wohnort: Hannover

Re: Aus der Ostschweiz

Beitrag von FreeMind »

Hallo Rhippitt1,

was Du beschreibst, ist wirklich erschütternd. Offenbar wirst Du auch nicht optimal gesundheitlich betreut, denn es gibt eine gute Hilfe für Deine Situation. Es handelt sich dabei um die "intermittierende Selbstkathederisierung". Dabei führst Du selbständig einen Katheder bis zur Harnblase ein und entleerst sie damit. Dafür gibt es spezielle Katheder zur Einmalbenutzung. Das ist weder besonders schwierig, noch ist es schmerzhaft. Das setzt allerdings voraus, dass Du entsprechend in die Benutzung eingewiesen wirst, denn es muss unbedingt vermieden werden, dass Keime in die Blase gelangen.

Du solltest Dich damit an Deinen Hausarzt oder Urologen wenden und Deine Lebenssituation schildern. Falls Du auf skeptische Reaktionen stößt, Paruresis ist vielleicht noch nicht überall so bekannt, solltest Du Dich davon nicht irritieren lassen und auf Deinem Wunsch beharren.

Intermittierende Selbstkathederisierung, heilt zwar keine Paruresis, aber kann Dein Leben ganz erheblich verbessern und Dir helfen, ein (fast) normales Leben zu führen. Damit kannst Du sogar längere Reisen unternehmen, mehr braucht man dazu eigentlich nicht zu sagen...

https://flexikon.doccheck.com/de/Interm ... heterismus

Ich bin kein Arzt, aber ein verengter Blasenausgang könnte ein beitragender Faktor sein. Es macht aber nur Sinn dort etwas zu tun, wenn dadurch die Entleerung der Blase tatsächlich beeinträchtigt ist. Das ist natürlich schwierig zu sagen. Vielleicht kannst Du mal eine Uroflowmetrie unter Benzodiazipin machen. Da bist Du allein in einem Raum und pinkelst in einen Trichter. Mit so einem angstlösenden Medikament, kann das auch bei Dir funktionieren! Sprich das einfach mal beim Urologen an.

Mit 55 hast Du wahrscheinlich noch Jahrzehnte vor Dir, aber falls Du bettlägerig werden solltest, wirst Du eben mit einem Dauerkatheder versorgt. Du musst Dir also keine Sorgen machen.

Ich hoffe, meine Hinweise haben Dir neuen Mut gemacht.

Viele Grüße
freemind
Marco87
User
Beiträge: 10
Registriert: 28. Januar 2025 13:44

Re: Aus der Ostschweiz

Beitrag von Marco87 »

Hallo Rhippitt1,

danke für deine Post. Es tut mir leid, dass es dir alles andere als gut geht. Ich habe das Gefühl, dass bei Dir viel zusammenkommt.
Hol Dir die Hilfe, die du brauchst. Ich weiß nicht, wie es in der Schweiz ist und ob das gezahlt wird, aber vielleicht gibt es in deiner Nähe einen guten Verhaltenspsychologen den du anschreiben kannst. Vielleicht ist das für dich ein erster guter Schritt? Was meinst du?

Ich hoffe, dass du bald wieder positiver in die Zukunft schauen kannst.

Liebe Grüße


Marco
Rhippitt1
Newbie
Beiträge: 2
Registriert: 29. September 2025 22:21

Re: Aus der Ostschweiz

Beitrag von Rhippitt1 »

Hallo zusammen.

Ich danke euch sehr herzlich für eure Antworten.

Das mit der Selbstkatheterisierung hatte ich mir auch schon mal überlegt früher. Allerdings führte zweimal ein Urologe bei einem Untersuch einen Katheter ein und beidemale war es unglaublich schmerzhaft und unangenehm. Darum kann ich mir das einfach irgendwie nicht vorstellen, auch wenn es sicher einige Situationen verbessern könnte. Aber danke für den Tipp.

Bei einem Verhaltenspsychologen war ich mal vor x Jahren. Wir versuchten es dann ein wenig mit Konfrontation. Es gab aber ausschliesslich Rückschläge, darum wurde es eher schlimmer als besser. Zudem muss ich mich nicht künstlich konfrontieren, ich bin ausser zuhause automatisch konfrontiert und am üben. Vorallem bei der Arbeit übe ich immer wieder mal, geschlossene Kabine im Untergeschoss, aber ausser während des Nachtdienstes wo ich alleine im Gebäude bin ist es unglaublich schwierig und es gibt kaum ein Erfolgserlebnis. Wenn es dann mal tatsächlich nach so 10min klappt, bin ich nicht etwa glücklich darüber, sondern eher deprimiert, dass es so lange gedauert hat und dass das so ein grosses Problem in meinem Leben ist. Darum lasse ich diese Uebung oft und bin dann eher glücklicher.

Ich möchte einfach hier allen auch mal Mut zusprechen, trotz meiner sehr sehr starken Paruresis und einem teilweise richtig üblen Reizdarm kriege ich mein Leben auf die Reihe, viel alleine zwar, aber man muss trotzdem nicht auf alle Hobbies verzichten. Auswärts Essen, Tanzabende, Theaterbesuche, Sporttraining abends im Verein..... Das alles ist trotzdem möglich. Andere sind im Rollstuhl und können teilweise den Stuhl nur noch mit dem Mund am Joystick steuern. Darum will ich mir nicht anmassen, über meine Situation zu fest zu jammen. Ich sehe meine Sachen einfach als Teil von meinem Leben, wie eine Behinderung halt. Ich mache was möglich ist, das andere muss ich halt lassen. Und auch wenn unplanbare Sachen passieren, ich bin ja seit Jahren so unterwegs und lebe immernoch, also gibt es immer irgendwie irgendwo eine Lösung. Ach ja, längere Fahrrad und Motorradtouren sind auch möglich im Sommer und Herbst, dann die Maisfelder sind ein perfektes WC, da gehts immer.

Nochmals danke fürs Lesen und die Rückmeldungen.

Grüsse!
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