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Quercus petraea
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Registriert: 17. Januar 2023 17:01

Hallo!

Beitrag von Quercus petraea »

Hallo zusammen,

ich bin weiblich, 22 Jahre alt und möchte meine Geschichte mit euch teilen. Wie lange ich an Paruresis leide, kann ich nicht genau sagen. Das war ein eher schleichender Prozess, und erst vor kurzem habe ich nach einer Google-Recherche erfahren, dass das Ganze auch einen Namen hat.
Meine erste Erfahrung bzw. erste Erinnerung mit Schwierigkeiten beim Wasserlassen hatte ich vor einigen Jahren (mit 18/19?). Ich war den ganzen Tag mit einem Freund auf dem Traktor unterwegs, und wir hielten bei seiner Oma an, um kurz auf die Toilette zu gehen. Als ich gerade im Bad war, standen er und seine Oma allerdings direkt vor der Tür und unterhielten sich, und bei mir ging/lief gar nichts, obwohl ich musste. So bin ich also unverrichteter Dinge wieder mit ihm losgefahren, und war dann erst viele Stunden später, als der Blasendruck auch kaum mehr auszuhalten war, bei einer Tankstelle auf einer Toilette.

Danach gab es lange Zeit keine Zwischenfälle dieser Art - zumindest nicht, dass ich mich daran erinnere. Da ich mal von einigen Männern hörte, dass diese nicht gut urinieren können, wenn direkt neben ihnen jemand am Pissoir steht, hielt ich es zunächst für normal, dass man ein paar Schwierigkeiten haben kann, wenn sich jemand in unmittelbarer Nähe befindet.

Mit der Zeit kam es dann aber immer häufiger zu Situationen dieser Art, und nachdem es sich immer mehr zuspitzte, kamen mir die ersten Zweifel, ob dies tatsächlich normal sein soll. Ziemlich zügig habe ich dann herausgefunden, dass es sich hierbei tatsächlich um eine Krankheit handelt. Sehr belastet hat es mich zu Anfang allerdings nicht, da ich es immer gut gemanagt bekommen habe, und vermeintlich schwierige Situationen einfach vermied oder nicht mit solchen konfrontiert werden musste.
Zu Hause, bei meinen Verwandten und Freunden und in vertrauten Umgebungen habe ich keine Probleme. Schwierig war es höchstens, wenn ich irgendwo zu Besuch war, wo es sehr hellhörig war und sich Personen unmittelbar vor Tür befanden, oder wenn eine der zwei Toilettenkabinen (oben und unten offen) auf der alten Arbeit bereits besetzt war.
Aktuell absolviere ich eine Ausbildung, und muss für die Schulblöcke ins Internat. Da sind die Zimmer so konzipiert, dass sich immer zwei Zimmer ein Bad teilen, welches sich in der Mitte der beiden befindet. Die Tür zum Nachbarzimmer hat unten allerdings einen riesengroßen Schlitz, wodurch man leider absolut keine Privatsphäre hat, und alles aus dem Zimmer und dem Bad mitbekommt - als wäre man gemeinsam in einem Raum. Da habe ich sehr große Schwierigkeiten auf Toilette zu gehen - häufig ist es unmöglich. Es gibt aber einige Einzelzimmer mit eigenem Bad, und da ich immer sehr früh anreise, hatte ich bisher fast immer Glück, eines zu meiner großen Erleichterung zu bekommen.

Generelle Probleme habe ich in der eben beschriebenen Situation, in Toilettenkabinen (zwei nebeneinander), die oben unten oben offen sind, und sich neben mir jemand befindet, den ich kenne (auf öffentlichen Toiletten mit fremden Personen ist das fast nie ein Problem, und umso mehr Kabinen, desto leichter fällts mir), auf hellhörigen Toiletten und wenn sich dann jemand vor der Tür aufhält, und manchmal auch, wenn ich Zeitdruck habe und ich weiß, dass jemand auf mich wartet - in dem Fall aber eher selten.

Mein schlimmstes Erlebnis war erst vor kurzem, als ich ein ganzes Wochenende bei einer Freundin zu Besuch war, die ich erst kennengelernt hatte. Die Familie lebt in einer sehr kleinen Wohnung, und die Toilette (mit großen Lüftungsschlitzen unten in der Tür) befindet sich neben dem Wohnzimmer und der Küche - also der absolute Albtraum eines Paruretikers. Für mich war es fast unmöglich, auf Toilette zu gehen, und ich war entweder nachts, oder wenn die Eltern auf Arbeit waren und die Freundin zum Rauchen auf den Balkon ging. Meine Gedanken drehten sich also rund um die Uhr nur um den nächstmöglichen Toilettengang und ich war froh, als das Wochenende vorbei war.

Danach wurde es zunehmend schlimmer, und auch in einigen zuvor unproblematischen Situationen hatte ich plötzlich meine Schwierigkeiten. Ich vermute es liegt daran, dass ich nach dem Horror-Wochenende mehr über mein Problem nachdachte und mich bei jedem Toilettengang verkrampfte, ob es da wohl genauso sein wird wie dort. Da bekam ich es etwas mit der Angst zutun (davor, dass es womöglich noch schlimmer wird) und ich kam zu dem Entschluss, dass sich etwas ändern muss. Ich recherchierte also nochmal darüber, und fand das Video von Tru Doku und Johannes zur Paruresis - das ich übrigens total toll finde. Besonders wenn man sich Anderen anvertrauen möchte, eignet sich das gut dazu. Da ist mir auch aufgefallen, dass ich bereits meinen ganzen Alltag nach der Paruresis ausgerichtet habe.
Ich möchte erstmal eigenständig versuchen, das Problem anzugehen. Ich habe mir das Buch „Lass es laufen“ von Philipp Hammelstein gekauft, und werde mir auch noch die englische Lektüre zulegen. Demnächst werde ich auch das WeMingo-Programm mal ausprobieren.
Auf jeden Fall möchte ich nicht, dass ich mein Leben weiterhin von der Paruresis bestimmen lasse und möchte mich nicht von allem fernhalten, was mir womöglich Schwierigkeiten bereiten könnte.
Bis jetzt komme ich zwar überwiegend gut durchs Leben, aber wenn ich zu studieren anfange, wird es bestimmt zu einigen problematischen Situationen kommen können, und auch möchte ich nicht auf mögliche neue Kontakte/Freundschaften verzichten müssen, nur weil ich Angst habe, eventuell nicht auf die Toilette gehen zu können.

Was mich sehr freut und auch erleichtert, ist, dass ich nicht die Einzige mit diesem Problem bin, uns es dieses Forum gibt, auf dem man sich austauschen kann.
Ich habe mir hier schon einige Einträge durchgelesen, und die Erfolgsgeschichten von Anderen machen mir Hoffnung, dass es auch bei mir eines Tages besser werden kann.

Liebe Grüße
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Benny48
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Re: Hallo!

Beitrag von Benny48 »

Servus Quercus petraea,
willkommen. Schön, dass Du da bist.

bei mir hat's 40 Jahre gedauert (ich bin jetzt 48) bis ich mich entschieden habe, mein Problemchen anzugehen.
Deine Entscheidung ist richtig! Denn Du sparst Dir die vielen folgenden unangenehmen Jahre!
Du bist offensichtlich clever, denn Du gehst das Thema frühzeitig an.

Und - ja, Deine "Situationen" kann ich so gut nachvollziehen.
Meine erste WG Wohnung hatte auch so eine blöde Türe DIREKT VOR DER KÜCHE, wo man sich immer getroffen hat.
(Einer meiner Lösungen war, in der Wohnung, besonders im Klo Lautsprecher einzubauen - wenn Musik lief, hörte man nichts....)

Ja, wegfahren und bei Freunden "kurz mal Pinkelpause, dann weiter" - und 5 Leute stehen vor der Türe... hab erst neulich davon geträumt.

Und ja, die Studienzeit ist eine tolle Zeit, weil man so viele neue Leute mit ähnlichen Interessen trifft. Und sich dann natürlich trifft.



Ein paar Tipps (ich bin noch nicht ganz fertig, aber auf einem vernünftigen Weg):

Ich bin mir nicht sicher, ob es für Frauen etwas entsprechendes gibt. Das Buch "Lass es laufen!" ist zwar auf Männer ausgelegt. Aber wahrscheinlich kann man einiges entsprechend umdeuten. Und die eigentlichen Hintergründe sind eigentlich gleich.

Die Selbsthilfeseite wemingo.de dito.

Bau Dir möglichst wenig Vermeidungsstrategien. Die Lösung ist am Ende das akzeptieren und in die Situation rein gehen. (Nicht zu brachial, sonst Frust -> siehe Buch und Seite)

Eine Buddy wird m.E. bei Frauen ähnliche Hilfe bedeuten.

Es gibt eine tolle "Meditations-App", die mittlerweile wohl sogar von der Krankenkasse bezahlt wird. "Headspace". Dort lernt man nicht nur allgemeine Entspannungsübungen sondern auch konkret für Spezialfälle, wie z.B. Ängste.

Ahja, und hier auch nicht aufgeben - es ist teilweise etwas still auf dieser Seite - schreib die Leute auch direkt an (einer der besten Tipps, die ich bekommen habe :-) )

Viel Erfolg!
Benny
Quercus petraea
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Re: Hallo!

Beitrag von Quercus petraea »

Hallo Benny,

vielen Dank für deine Antwort und Tipps.
40 Jahre sind eine lange Zeit. Haben sich deine Probleme nun denn schon etwas verbessern können?

Bisher habe ich nicht viel vom Meditieren gehalten, aber ich gebe dem hinsichtlich der Paruresis gerne nochmal eine Chance.

Ganz lieben Gruß
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Benny48
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Re: Hallo!

Beitrag von Benny48 »

Hahaha, ja "Meditation" war für mich auch Firlefanz von Esoterikern (ich hoffe ich trete niemandem auf den Schlipps"
Das Fing hat nichts mit Baghwan zu tun sondern soll helfen einen anderen Bezug zu bekommen.
Entspannung und Gefühle akzeptieren...
Anyway, mir hat es schon etwas geholfen bei anderen Ängsten, die ich hatte.

Erfolge: Outing und Reduzieren der Peinlichkeit (wir Männer müssen ja immer männlich sein).
Und Aushalten der peinlichen Situation am Urinal sowie entspannter Wechsel ins Häuschen, wenn nichts geht.
ABER am harten Kern arbeite ich noch. Zusammen mit anderen rein ...und los :-)

Viel Erfolg und viele gute Kontakte wünsche ich Dir
Benny
Quercus petraea
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Re: Hallo!

Beitrag von Quercus petraea »

Genau das habe ich mir auch immer zu dem Thema gedacht, es dann hier aber lieber nicht so geschrieben. :lol:
Dann bin ich gespannt, ob es auch bei mir funktioniert. :)

Am Outing abeite ich auch gerade. Zwei Personen im meinem engeren Umfeld habe ich mich schon anvertraut (weil ich meine Sorgen unbedingt mit jemandem teilen wollte), die auch wunderbar reagiert haben. Allerdings beängstigt mich das noch etwas, dass andere bzw. noch mehr Leute von meinem Problem wissen. Mir kommt der Gedanke, dass die dann womöglich besonders auf mich achten, wenn ich den Weg zur Toilette einschlage, (auch wenns wohl Schwachsinn ist), der es mir dann noch mehr erschwert als ohnehin schon.

Zudem gehe ich ebenfalls mein Abwehrverhalten an, und gehe extra auf Toiletten, auf denen ich Schwierigkeiten haben könnte und versuche mich langsam zu steigern.
Die Probleme auf der Toilette sind bei mir auch immer phasenweise unterschiedlich stark. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es nur bergauf geht, weil es fast überall klappt, wo bisher Probleme waren, und dann kommen wieder Rückschläge, wo dann gar nichts mehr klappt.
Zuletzt geändert von Quercus petraea am 26. Januar 2023 18:06, insgesamt 1-mal geändert.
Quercus petraea
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Re: Hallo!

Beitrag von Quercus petraea »

Ein kleines Anliegen zu meinem Vorstellungspost habe ich übrigens noch:

Ich habe eine PN bekommen, in der man sich von dem Ausdruck "Krankheit" gestört fühlte.
Dies ist ein womöglich ungünstig gewählter Ausdruck, und das Letzte das ich möchte ist, dass sich jemand angegriffen fühlt - dies tut mir leid, wenn das der Fall ist.
Ob die Paruresis nun als Krankheit gilt oder nicht, weiß ich nicht. Ich bin noch nicht gut mit dem Thema und Begrifflichkeiten vertraut. Der Begriff ist mir beim Schreiben zumindest in den Sinn gekommen - korrigiert mich gerne, wenn dieser falsch ist.
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Benny48
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Re: Hallo!

Beitrag von Benny48 »

Hi Quercus Petraea,
ich glaube, da müssen wir uns keinen so großen Kopf machen.
Die Tendenz geht wohl zu "Sozialphobie". Ist das eine Krankheit?
Ist meine Glatze eine Krankheit?
Ist das so wichtig?
Wir haben einen für uns ungünstigen Zustand, der mit einer hohen Wahrscheinlichkeit für uns verbessert werden kann.
Das erscheint mir das Wichtigste.

Ich nenne es zum Beispiel: "den Scheiß"
;-)

Servus
Benny
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