EMDR + Pee-Buddy + Autogenes Training

Zum Eintragen positiver Erlebnisse und Fortschritten

Moderator: SimoneH

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C.L.
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EMDR + Pee-Buddy + Autogenes Training

Beitrag von C.L. »

Ich möchte auch meine Geschichte hier teilen, aus 2 Gründen: Einerseits ist alles rund um Paruresis sowieso ein Tabu-Thema (trotz tausenden Views je Erfolgsbericht hier) und andererseits kann der/ die ein oder andere vielleicht etwas von meiner Geschichte mitnehmen. Deshalb kann sich auch gerne jeder Leser/Leserin mit Fragen in einer Privatnachricht bei mir melden. :)

Nun zu mir:
Mein Name ist C., ich bin 24 Jahre alt, männlich, komme aus Wien und bin im letzten Semester meines Masterstudiums. Paruresis begleitet mich schon (zu) lange, generell habe ich in meiner Kindheit und Jugend mit einigen Ängsten zu kämpfen gehabt und generell war ich sehr schüchtern, teilweise depressiv und ängstlich im Umgang mit anderen Kindern/ Jugendlichen. Soziale Phobien waren generell schon lange ein Thema. Meine erste Erinnerung, bei der eine Klosituation Stress ausgelöst hat, liegt genau 20 Jahre zurück. Das hat dazu geführt, dass ich bereits im Alter von 6-8 Jahren nur Kabinen aufgesucht habe. Eine einzige auslösende Situation gab es jedoch nicht, es waren mehrere unangenehme Situationen. Am Pissoir konnte ich gar nicht pinkeln, selbst wenn „nur“ mein Papa oder der beste Freund danebenstand. Auch draußen in der Natur bzw. im Wald konnte ich nur sehr selten pinkeln, meistens hat es nicht geklappt. Negative Erinnerungen von damals (vor allem im Kontext Volksschule) fühlen sich an, als ob sie erst vor 2 Wochen geschehen sind, so intensiv sind sie. Leider habe ich es auch damals ganz schlimm gefunden, bei einer Autofahrt Druck auf der Blase zu haben – da meine Eltern sehr sehr nervös und gestresst wurden, wenn sie auf’s Klo mussten, habe ich mir das früh „angelernt“. Ebenfalls habe ich „Mitgefühl“ entwickelt, wenn jemand anderer dringend auf’s Klo gehen musste und mir das sagte – da ich ja gelernt habe, dass das etwas Schlimmes und sehr Unangenehmes ist.

Die Pubertät:
In der Kabine konnte ich als Kind noch problemlos, was sich mit der Pubertät geändert hat. Hier kommen ein paar weitere Situationen hinzu, die meine Angst stark geprägt haben (z.B. Schulkollege hat über Kabinenwand in meine Kabine geschaut). Bis ich 14 Jahre alt war, hatte ich auch keine Angst davor auf eine öffentliche Toilette zu gehen. Doch mit dieser und anderen Situationen änderte sich das: Plötzlich konnte ich in der Schule auch in den Kabinen nur mehr pinkeln, wenn niemand anwesend war, das war für mich unglaublich belastend und hat dazu geführt, dass ich immer viel zu wenig getrunken habe. Ich habe so gut es geht, vermieden an öffentlichen Orten aufs Klo zu gehen und je mehr ich vermieden habe, desto mehr blockierte mein Körper, wenn ich auf’s Klo gehen musste. Während sich mit 16-18 Jahren meine anderen Ängste stark gebessert haben und ich viel dafür getan habe, hat sich die Paruresis kaum verändert und mich über Jahre tagtäglich belastet. Was immer funktioniert hat, egal wie schwierig es im Moment war: Kabinen, die ein eigener, komplett abgeschlossener Raum sind. Auch wenn ich am Klo zuhause nicht konnte, sobald meine Eltern davor im Vorzimmer waren.

Studienzeit:
Mit dem Beginn meines Studiums konnte ich zum Glück an Selbstvertrauen gewinnen, erkennen, dass ich auch gut bei Frauen ankomme (was ich immer angezweifelt habe; gibt natürlich auch Selbstbewusstsein!) und konnte meinen Freundeskreis durch neue Bekanntschaften erweitern. Paruresis war trotzdem da. Ich fing auf eigene Faust an zu üben, z.B. in Unigebäuden in Kabinen zu pinkeln. Wenn jemand anderer anwesend war, konnte ich nicht im Stehen pinkeln, selbst wenn viele Hintergrundgeräusche da waren. Im Sitzen funktionierte es manchmal und manchmal nicht, wenn jemand anwesend war – oft musste ich meine Augen zumachen und die Ohren zuhalten, damit ich entspannen konnte. Und selbst damit hat es nicht immer geklappt. Ich übte auch, auf sehr wenig frequentierten WCs ans Pissoir zu gehen, am Anfang mit mäßigem Erfolg, irgendwann konnte ich dann auf WCs, auf denen ich mich sicher fühlte, alleine ans Urinal gehen. Bei Unternehmungen/ Exkursionen mit der Uni (studienbedingt waren es sehr viele Exkursionen) etc. habe ich auch weiterhin absichtlich viel weniger getrunken.



Wieso geht es mir heute viel besser?
Früher hätte ich meine Paruresis auf einer Skala von 1-10 (10= sehr stark vorhanden) auf 8 eingestuft, heute kann ich sie auf 2 einstufen. Ich kann so gut wie immer in Kabinen pinkeln, im Sitzen geht es immer, ich kann auf stark frequentierten Pissoirs (hohe Anonymität) pinkeln und vor allem: Ich kann vor/ neben meinen Freunden draußen oder am Pissoir pinkeln und bei offener Türe bei meiner Freundin, wenn sie vor der Türe steht. Ich kann weitgehend normal viel trinken. Ich bin weiter, als ich jemals erträumen konnte! Hier fasse ich zusammen, wie ich große Schritte gemacht habe:

Die beste Entscheidung, die ich im Bezug auf Paruresis je gemacht habe, war eine Psychotherapie zu beginnen. Das war ein Schritt, den ich jahrelang vor mir hergeschoben habe und mich nicht getraut habe. (Geld spielt natürlich auch eine Rolle…) im September 2019 habe ich sie dann begonnen und zu keinem Zeitpunkt bereut. Die Arbeit der Therapie baut auf 3 Säulen auf:

1. EMDR. (Eye Movement Desensitization and Reprocessing; Infos dazu: https://de.wikipedia.org/wiki/Eye_Movem ... 3%B6rung.) Mittels rascher Augenbewegungen werden traumatische Erinnerungen aufgearbeitet. Klingt vielleicht komisch, ist aber eine anerkannte psychotherapeutische Methode und funktioniert bei mir! Konkret gesagt konnte damit mein Vermeidungsverhalten langsam abgebaut werden, das alleine bringt mich aber nicht zum pinkeln.

2. Üben mit Pee-Buddy. Der Schritt, der die größte Überwindung kostet und den größten Erfolg bringt. Mein Therapeut meint, dass das Üben mit jemand anderem (egal ob Buddy jemand mit oder ohne Paruresis ist) ESSENTIELL für den Erfolg ist – so wenig ich das wahrhaben wollte. Und ja, es ist zu Beginn unangenehm, aber sobald der Erfolg kommt, ist das einfach ein geiles Gefühl! Ich hatte das Glück, dass ein guter Freund von mir auch eine leichte Paruresis hat, von der er mir erzählt hat, nachdem ich ihm von meiner Angst erzählt habe. Beim pinkeln üben sind folgende Punkte wichtig:
- Vor den Übungssessions so viel trinken, dass die Blase ziemlich voll ist (Auf einer Skala von 1-10 mindestens auf 7)
- LANGSAM steigern. Beginnen mit einer Situation, die man GERADE noch schafft. Z.B. sitzend am Klo zuhause bei geschlossener Türe pinkeln, wenn der Pee-Buddy 5 Meter entfernt steht.
- Wenn man pinkeln kann, toll, nach wenigen Sekunden stoppen, sobald ein normaler Strahl entstanden ist. Nach 10 Minuten in die nächste ganz leicht schwierigere Situation gehen. Z.B. Pee-Buddy in 3 statt 5 Meter Entfernung. So können selbst in ein paar Stunden große Schritte gemacht werden.
- Wenn eine Situation NACH 3-MINÜTIGEM VERSUCHEN NICHT KLAPPT, aus der Situation rausgehen und nach ein paar Minuten mit der nächst leichteren Situation weitermachen. Kein Problem!
- Gemeinsames Üben sollte am Anfang OHNE das Einbeziehen anderer Leute passieren! Dh in der Öffentlichkeit nur auf WCs üben, in denen gerade niemand ist. Wenn das gemeistert wird bzw. zu leicht wird, können andere Leute „miteinbezogen“ werden.
- Regelmäßig Üben, mindestens 1x die Woche für 2 Stunden. Beim nächsten Treffen nie schwieriger starten als man beim letzten Treffen aufgehört hat.


Begonnen habe ich mit meinem Pee-Buddy so, dass er im Wohnzimmer meiner Wohnung steht, während ich bei leicht offener Türe und aufgedrehter Lüftung im Stehen pinkle. Jetzt stehe ich problemlos neben ihm am Pissoir bzw. können wir nebeneinander im Wald pinkeln. Traut euch Leute darauf anzusprechen! Egal wie schwer es ist, es zahlt sich aus.


3. Tägliches Autogenes Training mit dem Vorsagen von meinen Zielen im Hinblick auf Paruresis. Gute Anleitungen für autogenes Training (Grundstufe ohne Vorsagen von positiven Glaubenssätzen) findet man auf Youtube. Weitere Erklärungen zum autogenen Training kann ich gerne geben, sofern jemand Interesse hat.



Ich weiß, dass meine Paruresis noch lange nicht komplett weg sein wird, aber ich habe lernen dürfen, gut damit leben zu können.

Ihr könnt das auch erreichen! Du bist nicht alleine damit! :)

C.
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Re: EMDR + Pee-Buddy + Autogenes Training

Beitrag von ParuWien »

Hi C,

ich hab' mich sehr oft in deiner Story wiedergefunden - danke fürs Teilen! PM ist raus :)

LG ParuWien
C.L.
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Re: EMDR + Pee-Buddy + Autogenes Training

Beitrag von C.L. »

Hallo ParuWien!

Hab' dir auch eine PM geschickt :)
HaH
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Re: EMDR + Pee-Buddy + Autogenes Training

Beitrag von HaH »

Hallo C.L.,

toller Beitrag der Mut macht!
Danke
VG HaH
C.L.
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Re: EMDR + Pee-Buddy + Autogenes Training

Beitrag von C.L. »

Hallo HaH!

Das freut mich! Danke auch für dein Feedback.

LG C.L.
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Benny48
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Re: EMDR + Pee-Buddy + Autogenes Training

Beitrag von Benny48 »

Wow, das klingt wie meine Traum-Story, dich ich in absehbarer Zeit gerne erzählen können möchte.
Ja, der Pee-Buddy wirkt unangenehm. Er tut ja eigentlich das, wovor ich sonst Angst habe - andere beobachten mich und warten darauf, dass ich "leiste" - :-)
Autogenes Training glaube ich gerne (mache ich bereits aus anderen Gründen)
EMDR lese ich mich echt mal ein - klingt spannend.

DANKE für's Teilen!
Benny
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