Vorstellung meiner Person und Leidensgeschichte

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readymade
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Vorstellung meiner Person und Leidensgeschichte

Beitrag von readymade »

Hallo an alle!

Seit ich vor ca. 2 Jahren auf das Buch von Dr. Hammelstein und danach auf dieses Forum gestoßen bin, schaue ich immer wieder mal hinein (je nach aktuellem Verzweiflungsgrad), aber konnte mich bisher noch nie dazu durchringen, selbst aktiv zu werden und meine Störung zu überwinden.

Ich bin jetzt 32 Jahre alt und leide schon seit meiner Pubertät daran - wann genau kann ich nicht sagen, irgendwann zwischen 13 und 15 fing es an. Ich habe aber auch schon vorher lieber Kabinen benutzt und Urinale wo es ging vermieden. Irgendwann konnte ich aber auch so einmal nicht, und ich stand dann die gesamte große Pause im WC und nichts ging, da hatte ich zum ersten mal das Gefühl daß etwas nicht mit mir stimmte. Damit ging es los.

Seitdem habe ich viele traumatische Situationen erlebt, v.a. auf Reisen wurden die Probleme so richtig akut. Besonders krass war z.b. ein Langstreckenflug von Australien, auf dem es Probleme mit der Maschine gab und ich ohnehin schon Todesangst hatte. Wie ich die insgesamt 24 Stunden inkl. unvorhergesehener Zwischenlandung durchgestanden habe, weiß ich bis heute nicht.

Ich habe schon früh angefangen, mein Vermeidungsverhalten zu perfektionieren. Es ging immer wieder bergauf und bergab, aber ich habe es nie mehr geschafft, zu urinieren wenn mich andere dabei sehen können. Auch in Kabinen habe ich oft Probleme, v.a. bei Zeitdruck und wenn es irgendwie unruhig ist. Auch Besuche von und bei Freunden daheim sind ein Problem.

Im zwischenmenschlichen Bereich hatte ich auch oft riesige Probleme, bei Verabredungen etc. aufs WC zu gehen, bevor man sich näher kam. So hat mir die Paruresis oft verunmöglicht, Frauen kennenzulernen und auch Beziehungen kamen oft nicht zustande.

Die letzten Jahre wurde es immer schlimmer, und habe mich immer mehr aus dem Sozialleben zurückgezogen, und auch keine längeren Reisen mehr unternommen. Auch körperlich habe ich vermehrt Probleme beim Wasserlassen, ich denke ich leide auch an chronischer Prostatitis. Zudem wurde es immer schwieriger, auf Menschen zuzugehen (Sozialphobie?) und ich habe auch oft depressive Phasen, wo es mir schwerfällt, die Hoffnung nicht zu verlieren. Ich konnte mich nie zu einer Therapie aufraffen, obwohl ich das besser ein paar Jahre früher gemacht hätte.

Ich habe es nie geschafft, mich jemandem anzuvertrauen, so peinlich war mir das ganze. Vor kurzem habe ich aber wieder jemand kennengelernt, und ich denke diesmal werde ich nicht daran vorbeikommen, es ihr zu sagen. Ich hoffe, ich schaffe es irgendwie, bevor es zu spät ist.

Auch sonst denke ich mir, daß es nicht mehr so weitergehen kann und ich nun endlich an mir arbeiten muss. Es ist sicher noch ein langer und schwieriger Weg, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Man kann sicherlich auch scheitern, aber wenigstens versucht sollte man es haben.

Für mich war es schon ein erster Schritt, mich hier anzumelden und mir ein wenig den Frust von der Seele schreiben zu können. Danke an alle, die das hier lesen und vielleicht auch ein paar Erfahrungen und Denkanstöße beisteuern können.
"Man muss bis zum letzten Augenblick gegen Natur und Schicksal kämpfen und nie an etwas verzweifeln, bis man mausetot ist." Voltaire
Rolf
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Beitrag von Rolf »

Was möchte man ändern, was kann man überhaupt verändern. So wie die Rille einer Schallplatte eingeschliffen wird, so könnte man sich vorstellen, dass sich in P. eine gewisse Tendenz der Persönlichkeit manifestiert. Je nachdem, was man früher für einen „Hau“ vermittelt bekommen hat. Es ist nicht nur so, dass z.B. direkte Gewalt jemand bis ans Lebensende schädigt. Werden „falsche Lebenseinstellungen“ vehement an seine Kinder weiter gegeben, leiden auch die ein Leben lang unter Modellen, die nur in einem genau definierten Rahmen funktioniern, wenn überhaupt. Zu Beginn muss nicht mal eine böse Absicht dahinter stehen, es reicht wenn unglückliche Umstände zusammen kommen. Es ist also bereits vor P. etwas schief gelaufen. Möglicherweise wäre der eine oder andere sehr enttäuscht, wenn er P. los wäre, was sich dadurch dann „verbessert“ hätte haben sollen.

Sicher ist P. ein Hemmnis ersten Grades und verhindert genau das, was die Betroffenen im Kern wollen, nämlich nicht mehr fremd zu sein, genauer, sich nicht mehr fremd zu fühlen. Macht man aber nix, befindet man sich automatisch in so einer Art „Abwärtsspirale“. Die Frage hinter deinen Anstrengungen zu einer Veränderung ist: Was ist tragfähig? Exponiert man sich falsch, verschlimmert sich P., das ist hinlänglich bekannt. Es ist weniger die Frage nach dem geeigneten Therapeut, denn DU musst die Zusammenhänge erkennen. Auf jeden Fall empfehlenswert ist es, sich einen geeigneten Partner zu suchen und dem dann aber auch vermitteln, um was es wirklich geht.

LG Rolf
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readymade
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Beitrag von readymade »

Dank dir für die sehr tiefgründige Antwort, @Rolf. Das ist ja eher ein psychoanalytischer Ansatz, den du da vertrittst, sage ich mal mit meinem psychologischen Halbwissen. In der Tat war ich schon davor ein eher schüchternes Kind und hatte Probleme mit Eltern, Schule und anderen Kindern. Da kommen sicher das Schamgefühl und die Minderwertigkeitskomplexe her, die wohl auch die Entstehung der Paruresis begünstigt haben. Ich denke, die Sozialphobie ist sicher der größere Zusammenhang, und die Paruresis das konkrete Symptom, das uns hier beschäftigt.

Ob ich wirklich ein anderer Mensch wäre (und sein möchte), wenn es möglich wäre, die Störung zu überwinden? Eigentlich bin ich trotz allem ganz zufrieden mit meiner Persönlichkeit - es gab Zeiten, als ich das alles noch recht locker nahm und ein recht intaktes Sozialleben hatte (Studienzeit), und da war ich vom Charakter her auch der selbe wie heute. Nur unbeschwerter, seither sind halt doch ein paar Jahre vergangen. Also insofern, Illusionen mache ich mir da keine.

Meine Ziele sind erstmal nicht allzu hoch gesteckt. Ob es gelingt, mein Vermeidungsverhalten ganz zu überwinden, weiß ich nicht. Ich wäre momentan schon froh, wenn ich bei geschlossener Türe, und wenn es darauf ankommt, mich sicher erleichtern könnte. Das würde mir schon einiges an Sicherheit bringen, zumindest angstfrei zu leben zu können. Aber da glaube ich halt mittlerweile auch nicht mehr dran, daß ich da hinkomme, ohne eine Therapie zu machen.

Ein wenig auf öffentlichen Toiletten selbst "geübt" habe ich immer wieder mal, aber ich habe leider keinen, den ich als "Buddy" einspannen könnte und ehrlich gesagt käme mir die Situation wohl auch ein bißchen komisch vor.

Von daher wäre eine Therapie vielleicht der bessere Rahmen - leider habe ich nicht viel Geld (momentan arbeitslos) und auch keine Erfahrung damit. Es gibt in meiner Nähe nur einen männlichen Therapeuten, der Verhaltenstherapie anbietet. Ich werde ihn wohl demnächst mal um ein Erstgespräch bitten, und dann weiterschauen.
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Rolf
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Beitrag von Rolf »

Oftmals kann man seine Lage schon verbessern. Ja, auch ich sehe Paruresis eher als Symptom und frage mich sowieso oft, wieso man ausgerechnet im Krankheitsfall das Falsche tut. Vermutlich, weil man sonst nicht krank wäre, oder wenigstens nicht so schlimm. Trotzdem, nach meiner Ansicht sitzen wir einem Irrtum auf, wenn wir glauben, dass alles aus diversen Zellhaufen besteht, die genetisch determiniert sind - und man muss nur die Bestandteile kennen usw. usf. … Dinge wie Bewußtsein, die auf alle verteilt sind, entziehen sich einem direkten Zugriff, wirken aber „dazwischen“ natürlich trotzdem.
readymade hat geschrieben: Das ist ja eher ein psychoanalytischer Ansatz, den du da vertrittst...
Das mag sein, war aber nicht so gewollt. Der eine steht auf dem Standpunkt: „Ist alles nur psychisch!“, andere sagen: „Richtig weh tut's nur auf's Auge.“ Alle drei haben recht - es tut weh.

Der von mir ausgelobte Partner kann selbstverständlich auch ein Therapeut sein. Wenn du einen findest. Du findest hier im Forum jede Menge mehr oder weniger geglückte Versuche, doch es ist das wert, weil man sich dabei zum Thema artikulieren muss.

Deine Sicherheit musst du dir selber machen. Niemand kann dir die geben. Wenn du Sicherheit willst, gib deiner Freundin was du dafür hälst und sieh genau hin, was dabei zurück kommt.
daniel73
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Wohnort: Neumarkt/Opf.

Auch ich stelle mich vor ...

Beitrag von daniel73 »

Hallo readymade, Rolf und alle Mitleser,

weil das Thema perfekt gewählt und es im Forum kaum einen besseren Platz dafür gibt, nutze ich diesen Thread einfach um mich kurz vorzustellen.

Männlich, 42, Familie mit 2 Kinder die von meinem Problem wissen, Beruf in dem ständige Tauglichkeit nachgewiesen werden muss (auch per Urinprobe) :oops: aber sonst keine erheblichen Einschränkungen im Privatleben.

Das Problem besteht bei mir seit meiner Kindheit/Jugend. Ein auslösendes Ereignis kann ich nicht benennen. Vielleicht liegt es einfach daran, dass ich mich schon immer auf der Toilette setzen musste.
Lange Zeit habe ich damit und auch mit den extrem belastenden Folgen einer vollen Blase gelebt und es einfach akzeptiert. Seit etwa 3 Jahren weiss ich dass es einen Begriff für das Problem gibt und habe mich damit eingehender beschäftigt und bin dabei auch auf dieses Forum gestoßen.
Hammelsteins Buch habe ich gelesen, ohne dass es mir wirklich geholfen hat, da die meisten Ansätze gar nicht so einfach umzusetzen sind.
Die Wirkungsweise und die Anatomie im Buch helfen aber zu verstehen was eigentlich im Kopf passiert.
Im Anschluss habe ich meine Vermeidungshaltung aufgegeben. Durch Übung habe ich festgestellt dass es irgendwann, auch unter größten Schwierigkeiten doch irgendwie geht.
So individuell das Problem ist, habe auch ich bestimmte Situationen die schwierig oder unmöglich sind.
Das größte Problem sind alle Verkehrsmittel die sich bewegen, Flugzeug, Bus, Zug in dieser Reihenfolge. Gefolgt wird diese Hitliste von öffentlichen Einrichtungen mit wenig Toilettenkabinen oder Dixis :shock: (Stadien, Konzerte, Stadtfeste, Sportevents). Auch in Gaststätten mit nur ein oder 2 Kabinen wird's schwer. Es folgen Toiletten bei Verwandten, Bekannten und Freunden zu Hause.
Ich glaube das Problem besteht bei mir eher nicht darin dass ich ein gewisses Schamgefühl habe (ich schäme mich schließlich in der Sauna auch nicht) oder Angst vor fremden Menschen und öffentlichen Einrichtungen. Das größte Problem ist bei mir fehlende Abgeschiedenheit, die Angst es könnte jemand kommen, mich beim Urinieren hören usw.
Ich weiss das es Unsinnig ist sich da hineinzusteigern aber genau das ist mein Problem.
Mein Ziel ist es daran zu arbeiten, die Hirnstrukturen mental (positives Denken, mentale Entspannung und gaaaanz viel Übung) so zu verändern, das die Situation des Urinierens als etwas normales und nichts beänstigendes oder bedrohliches empfunden wird.
Schließlich ist niemand von uns mit diesem Problem geboren worden.
Das Problem muss also irgendwie durch Ereignisse, Erfahrungen und unangenehme Momente erlernt und verfestigt worden sein.

Seit Juli diesen Jahres organisiere ich die Selbsthilfegruppe Nürnberg/Fürth/Erlangen, wobei ich eingestehen muss dass es sich dabei lediglich um einen Stammtisch von Leidensgenossen geht.
Ursprünglich dachte ich auf diesem Wege einen Peebuddy zu finden, leider sind aber die Wege zu weit. Ich bin immer noch auf der Suche...
Was vorstellbar ist, ist auch machbar.
(A. Einstein)
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