Hallo,
ich möchte mich kurz vorstellen, da ich mich in dieses Forum einbringen möchte und auf der Suche nach einer Selbsthilfegruppe bin. Meine ist Kai, ich bin 37 Jahre alt und seit meinem 12ten Lebensjahr Paruretiker.
Meine erste Situation, in der ich Angst vorm Pinkeln hatte war mit 12 Jahren, als ich für ungefähr eine Woche unter Verfolgungswahn litt. Vermutlich nur eine leicht Form, aber als Kind musste ich mich immer umdrehen und schauen, ob der „Böse“ kommt. Ich hatte in der Zeit eine Mobbing Phase und dann irgendwann mal „den Falschen“ erwischt. Jedenfalls dachte ich dann die ganze Zeit, ob der jetzt um die Ecke kommt und mich verhaut. So stand ich dann eines Tages am Urinal und musste immer nach hinten schauen. Ich hatte sehr große Angst, dass er plötzlich kommt und mich gegen das Urinal schubst. So bin ich in die geschlossene Kabine gegangen.
Leider waren die meisten Kabinen in der Schule kaputt, man konnte also nicht abschließen. Ab da ging ich immer in die Kabine, wenn ich pinkeln musste, meistens in den Stunden, wenn alle Schüler in den Klassen waren.
In meiner Teeniephase empfand ich das noch nicht wirklich als störend. Auch wenn ich bei meinen Freunden zu Hause war, war es kein Thema, weil alle in einem Haus mit Gästeklo wohnten. Erst mit 17 Jahren fing es an, immer nerviger zu werden. Ich ging jedes Wochenende auf Party und fing auch selber an aufzulegen und vor allem Drogen jeglicher Art zu nehmen. Die Club Toiletten sind natürlich auch immer eine Lotterie. So fing ich oft damit an, nach draußen zu gehen und mir ein ruhiges Plätzchen zu suchen. Aber wenn wir mal in einer fremden Großstadt waren, wurde das schon problematischer. Das fing mit den Fahrten dort hin schon an (überfüllter Regio mit Fußballfans, Partybus mit dutzenden Leuten die alle auf die Raststättentoiletten strömen etc., kaputte Bustoilette etc.).
Die Festivals waren dann der größte bislang gekannte Stressor. Die Dixitoiletten mit der hörbaren Pinkelakustik und den langen Schlangen haben mir den Rest gegeben. Irgendwie habe ich es schon geschafft, aber es war klar, dass ich nicht jedes Festival mitnehmen kann, was ich mir wünschte.
Richtig furchtbar wurde es dann zu Studienzeiten, wo gefühlt jede Berliner WG eine Toilette hatte, wo man nicht abschließen kann. So wurden die Studipartys immer zum Albtraum. Richtig absurd wurde es dann mit Anfang 20 in meiner kleinen Einzimmerwohnung, wo ich nicht mal mehr pinkeln konnte, wenn mich ein Freund anrief und sagte, er käme gleich vorbei. Allein das löste in meinem Kopf schon so ein Karrussel aus, dass ich in meinem Kopf in Dauerangstschleife verharrte und keinen Tropfen rausbrachte.
Extrem peinlich war mir dann die Sache, als ich ein Date in einer größeren WOhnung hatte, aber trotzdem in ihrer Gegenwart nicht pinkeln konnte. So blieb sie im Schlafzimmer und ich sagte, ich mache mal Tee in der Küche. Ich versuchte dann krampfhaft ins Spülbecken zu pinkeln und als ich gerade ein paar Tropfen rausbrachte und mir die Hose zu machte, kam sie plötzlich rein. Sie hatte gottseidank nichts bemerkt, aber in dem Moment dachte ich echt, dass ich völlig verrückt werde und mich eigentlich sofort einweisen könnte.
Dazu kam dann die Jahre noch mein verstärkter Alkoholkonsum, denn Trinken, um locker zu werden, gehörte leider seit meiner Pubertät immer dazu. So entwickelte ich während des Studium ein starkes Alkoholproblem und begab mich dann irgendwie in der Mitte des Studiums in eine Verhaltenstherapie. Mit dem Alkohol hörte ich dann auch auf. Ich ging also zur VT und musste dort Expositionsübungen machen, die ich als echt heftig aber irgendwo auch wirksam wahrgenommen hatte. Die regelmäßige Konfrontation mit der Angst ließ mich gefühlt altern. Nach so einer Sitzung sah ich immer aus wie ein depressiver Opa, obwohl ich Mitte 20 wahr.
Letztendlich machte die VT mein Leben um einiges erträglicher, aber meine Schwierigkeiten sind immer noch da. Nicht so dramatisch wie damals, aber es gibt sie noch. Der Alkoholkonsum fing mit Mitte 20 wieder an, eskalierte dann mit Anfang 30, seit 4 Jahren bin ich trocken.
Bewusst, dass die Angststörung wieder stärker auftreten wird, wurde mir mit der Geburt meiner Tochter klar, als ich 34 war (wenn wir beispielsweise Familienunternehmungen machten). Und so ist es auch gekommen, dass es für mich ein extremer Stresspegel ist, wenn ich allein mit meiner Tochter unterwegs bin und ich mal pinkeln muss. Jedesmal ist es eine Herausforderung die mal ganz gut klappt und mal eben nicht. Meine Tochter drängelt gerne und will natürlich genau das, was ich in der Situation gerade als unangenehm empfinde. Aber manchmal kann ich vor ihr pinkeln, was mir dann wieder Zuversicht gibt. Jedenfalls bin ich jetzt an dem Punkt angekommen, an dem ich mich mehr öffnen und mit Gleichgesinnten sprechen/schreiben möchte, darum stelle ich mich hier vor Ich bin gespannt auf euer Feedback Ich weiß schon seit 10 Jahren, dass es dieses Forum gibt, aber ich habe es immer vermieden, mich hier mal vorzustellen
LG Kai aus Berlin